Die Kommunikation von Preisen in der Tiermedizin
Ein Dauerthema erhält mit der GOT 2022 noch mehr Bedeutung
Mit der neuen GOT wird das Thema Preiskommunikation in der Tierarztpraxis definitiv an Bedeutung gewinnen. Grundsätzlich ist es für den fachlich-medizinischen Erfolg als Tierärztin, Tierarzt oder TFA essentiell, effektiv zu kommunizieren und eine gute, vertrauensvolle Beziehung zu allen Kunden aufzubauen. Doch wie sieht eine effektive und vertrauensvolle Kommunikation aus? Und warum ist besonders das Thema der Preisgestaltung für tiermedizinische Leistungen eine besondere Herausforderung?
In diesem Artikel erfahren Sie, warum es oft schwierig ist, mit Kunden über das liebe Geld zu sprechen und wie Sie deutlich entspannter in ein solches Gespräch gehen können.
Das unangenehme Thema Kosten wird häufig vermieden
Warum ist es Tierärztinnen, Tierärzten und TFA in der Regel unangenehm, mit Kunden über die Rechnung und damit über die Preise für tiermedizinische Leistungen zu sprechen?
Auf meine Nachfrage werden für die mangelnde Kommunikation von Preisen, bzw. Kosten in der Tierarztpraxis folgende Gründe genannt:
- Wir haben nicht genug Zeit für dieses Thema.
- Die Rahmenbedingungen sind in einer Praxis im laufenden Betrieb oft ungünstig.
- Wir befürchten, dass die Kunden den Eindruck gewinnen, dass manche Leistungen nur des Geldes wegen angeboten werden.
- In der Kommunikation mit dem Kunden ist meistens ungeklärt, ob das Thema überhaupt und wenn ja wann und von wem angesprochen werden soll.
Diese Gründe sind nachvollziehbar. Nach meiner Erfahrung ist die Abneigung gegenüber diesem Thema aber komplexer als vermutet. Gleichzeitig ist das Gespräch über die Kosten einer professionellen Versorgung der Haustiere aber unglaublich wichtig, nicht zuletzt für die bestmögliche Versorgung der Tiere.
Die Gründe für die Vermeidungsstrategie bei der Kommunikation von Preisen
In der Regel ist es eines der drei folgenden Motive, das dazu führt, dass nicht offen über die Kosten der professionellen Behandlung gesprochen wird:
Angst vor negativen Reaktionen:
Die Angst kann in vielen verschiedenen Formen auftreten: als Angst vor emotionalen oder negativen Reaktionen der Kunden oder vor schlechten Bewertungen bei Google, Facebook und Co.. Manchmal ist es auch einfach die Befürchtung, über Jahre aufgebaute Kundenbeziehungen zu gefährden.
Ein irrationales „Schuldgefühl“:
Tiermedizinisch Tätige arbeiten in einem helfenden Beruf. Sie tun dies, um Tieren, ihren Menschen oder im Idealfall sogar beiden zu helfen. Wenn dabei Geld zum Thema wird, wird dies häufig als „irgendwie unangenehm“ empfunden. Lehnen Kunden empfohlene Maßnahmen ab, wie beispielsweise eine Dentalprophylaxe, fühlt der Tierarzt, die Tierärztin sich mitunter mitschuldig, dass dem Tier aus Kostengründen nicht die bestmögliche Behandlung zukommt. Immer wieder werden vom Praxispersonal auch Vermutungen darüber angestellt, ob der Kunde zahlungsfähig oder zahlungswillig ist. Ein offenes Gespräch über Kosten und Möglichkeiten des Kunden wird dagegen meistens vermieden.
Angestellte Teammitglieder übertragen teilweise auch ihre eigene, private Einschätzung in Bezug auf die Kosten für tierärztliche Leistungen auf die Situation des Kunden. Für eine TFA ist es evtl. nicht selbstverständlich, Empfehlungen und die Kosten für eine aufwändige OP auszusprechen, wenn diese für das eigene Tier ggf. zu hoch wären. Das ist ein unbewusster Umgang mit diesem Thema, der menschlich nachvollziehbar ist. Über diesen komplexen Zusammenhang hinaus, haben auch Tierärztinnen oder Tierärzte immer wieder Schwierigkeiten, ein angemessenes Honorar zu fordern. Gleichzeitig haben sie aber oft auch den Eindruck, dass ihre Fähigkeiten und ihre Kompetenzen nicht entsprechend wertgeschätzt werden – ein Teufelskreis.
Annahmen und Vorurteile:
Bieten Sie Ihren Kunden konsequent immer alle für das Tier wichtigen und sinnvollen Leistungen an? Oder beeinflusst Ihre Vermutung, wie zahlungsfähig oder zahlungswillig ein Kunde ist, welche Empfehlungen Sie aussprechen? Machen Sie sich bewusst: Ihre Einschätzung ist eine reine Vermutung, vielleicht sogar ein Vorurteil. In Notfällen und anderen emotional aufgeladenen Situationen wird dieser Mechanismus zusätzlich verstärkt. Gleiches geschieht, wenn dem Tierbesitzer in für das Tier lebensbedrohlichen Situationen kostspielige Kostenvoranschläge vorgelegt werden müssen. Denn dem Tierarzt ist bewusst: Jetzt entscheidet die Zahlungsfähigkeit des Kunden über Leben oder Tod des Tieres. Die Diskrepanz zwischen Mediziner und Geschäftsmann ist für viele Tierärzte in solchen Situation schwer auszuhalten, denn der Mediziner möchte alles tun, um das Leben des Tieres zu retten.
Preiskommunikation schafft Vertrauen und stärkt die Bindung
Was unterscheidet einen Friseurtermin von einem Termin in einer Tierarztpraxis? In der Regel wissen Sie bei einem Friseurbesuch bereits im Vorfeld genau, welche Kosten auf Sie zukommen. Die Preise für die Leistungen werden offen über Aushang oder Preisschilder kommuniziert und sind in der Regel auch im Internet verfügbar. Der Tierarztbesuch ist dagegen meistens eine finanzielle Black-Box, sich wiederholende Routineleistungen wie Impfungen ausgenommen
Die neue GOT alleine verfügt über 1.006 Positionen. Die Preise hängen vom individuellen GOT-Satz und den Leistungen ab. Hinzu kommen externe Kosten für Laboruntersuchungen, Medikamente und ggf. Futtermittel. Meistens ist der Betrag, der für die (Wieder)-Herstellung der Tiergesundheit aufgewendet werden muss, nicht vorab im Detail kalkulierbar.
Dennoch gibt es zahlreiche Gründe, warum die frühzeitige Kommunikation von Preisen für die Beziehung zwischen dem Praxisteam und dem Kunden von Vorteil sind. Entsprechende Studien in der Humanmedizin [1] zeigen, dass Menschen Ärzte, die Kosten vor Beginn der Maßnahmen transparent machen und kommunizieren, vorziehen. Solche Ärzte haben in der Regel den Ruf, fürsorglich und vertrauenswürdig zu sein. Diese Ergebnisse sind auch auf die Tiermedizin übertragbar und von hoher Relevanz. Denn auch hier trifft der Mensch – sozusagen als „Schattenpatient“ – die Entscheidungen – nur eben für das Tier.
Preise in der Tiermedizin – das gilt es zu beachten:
1. Legen Sie Ihre Preise strategisch fest
Die Festlegung der Preise für tiermedizinische Behandlungen ist eine grundlegend strategische Entscheidung. Wichtig ist, dass das Preisniveau zur individuellen Positionierung der Praxis passt. Denken Sie daran: Tiermedizinische Leistungen sind nicht skalierbar und daher ein begrenztes Gut. Sie verfügen nicht über Roboter, die 24-Stunden durcharbeiten können. So ergeben beispielsweise niedrige Preise, die sich durch eine hohe oder sogar zu hohe Auslastung rentieren, keinen Sinn. Verkaufen Sie Ihre Leistungen auf keinen Fall unter Wert, sonst müssen Sie deutlich mehr arbeiten, um ein zufriedenstellendes, finanzielles Ergebnis zu erzielen.
2. Preise haben immer eine Außenwirkung
Preise haben auch in der Tiermedizin immer eine Signalwirkung nach außen. Ein teueres Produkt wird automatisch mit höherer Qualität assoziiert. Im Umkehrschluss wird eine überdurchschnittlich gute tiermedizinische Leistung nur als Durchschnitt wahrgenommen, wenn sie sehr preisgünstig ist. Entscheidend dabei ist, wie der Kunde Ihre Preise subjektiv – also immer in Relation zum empfundenen Wert – einschätzt und wie der Tierarzt und seine Fachangestellten die professionellen Leistungen kommunizieren. Wir arbeiten deshalb mit unseren Klienten immer auch an der Wertvermittlung für erbrachte Leistungen.
3. Gute Kommunikation verstärkt Bindung und Vertrauen
Der Aufbau einer vertrauensvollen und guten Beziehung erfordert, dass Sie und Ihre Kunden aktiv miteinander kommunizieren. Oft sind es schon Kleinigkeiten, die einen Unterschied machen: Sie verstärken beispielsweise die Beziehung zum Kunden, indem Sie regelmäßig und ganz natürlich den Namen des Kunden oder des Tieres nennen. Ein „Kommen Sie bitte mit in Raum 3, Frau Meier“ ist persönlicher und für die Kundenbindung effektiver als die Äußerung „Sie dürfen dann mitkommen“.
4. Nutzen Sie jede Chance zum Dialog
Verwenden Sie dazu gezielt offene Fragen, um wichtige Informationen zu sammeln. Eine offene Frage kann nicht mit ja oder nein beantwortet werden, sie erfordert einen Dialog. In der Regel beginnen diese Fragen mit W-Wörtern wie „wann“, „wie“, „was“ oder „woher“. Verwenden Sie also statt „Haben Sie Fragen dazu?“ lieber „Welche Fragen haben Sie noch dazu?“. Denn diese Formulierung verstärkt den Dialog.
Auch Zusammenfassungen von Sachverhalten schaffen Vertrauen und Sicherheit, ein Beispiel:
„Ich möchte sicher sein, dass ich Ihre Bedenken voll und ganz verstanden habe, Herr Müller. Sie haben mir erzählt, dass Sie Bello von einem Züchter gekauft und ihn vor zwei Tagen nach Hause gebracht haben. Kurz nachdem er bei Ihnen ankam, bekam er Durchfall. Er frisst zur Zeit noch, ist aktiv und hatte bisher kein Erbrechen. Richtig?“
5. Bereiten Sie Ihre Kunden auf die lebenslangen Kosten ihres Haustieres vor
Die wirtschaftliche Situation des Kunden kann die optimale Versorgung des Haustieres unter Umständen begrenzen. Gerade in den aktuellen Zeiten mit zahlreichen Preissteigerungen ist die bestmögliche tiermedizinische Versorgung nicht immer finanzierbar. Es gibt zwei wichtige Situationen, in denen Sie Kunden grundsätzlich über die Kosten für gute Tiermedizin informieren können:
Bei der Anschaffung eines Haustieres: Sprechen Sie schon vor oder bei der Anschaffung eines Tieres über die Kosten, die lebenslang für die Gesundheit des Tieres entstehen. Das müssen keine langen, komplizierten Gespräche sein. Bei einem Kitten-Besuch könnte ein solches Gespräch beispielsweise wie folgt klingen:
„Frau Becker, nochmals herzlichen Glückwunsch zu Ihrem Welpen Benny. Benny ist wirklich ein ganz tolles Tier! – Und da Sie zum ersten Mal Katzenmama sind, möchte ich Ihnen noch ein paar wichtige Hinweise geben: Diese Rasse wird ca. 15 bis 17 Jahre alt. In dieser Zeit werden auch Kosten für Bennys Gesundheit entstehen, das ist unvermeidbar. Das erste Jahr wird dabei etwas aufwendiger, weil einige Untersuchungen, Impfungen und Bennys Kastration anfallen. Wenn er das Erwachsenenalter erreicht, sinken die Kosten erfahrungsgemäß. Wir halten am Empfang einige Informationen zu Tierkrankenversicherungen für Sie bereit. Hier können Sie sich informieren, dafür ist gerade jetzt ein perfekter Zeitpunkt. Bei Fragen kommen Sie gerne auf mich oder mein Praxispersonal zu.“
Am Ende jedes Besuchs: Kommunizieren Sie klar und deutlich die nächsten Schritte zur medizinischen Versorgung. Nehmen Sie sich am Ende jedes Besuchs kurz Zeit, um zu erklären, wann der nächste Besuch des Haustiers stattfinden soll und welche Leistungen zu diesem Zeitpunkt fällig sind. Vereinbaren Sie die nächste Maßnahme, bevor Ihr Kunde die Praxis verlässt. Dieses Gespräch könnte zum Beispiel so klingen:
„ Herr Schmidt, verrückt wie die Zeit verfliegt. Ich sehe gerade, dass Charly sechs Jahre alt ist. Bei der Rasse ist es wichtig, dass wir ihn zweimal im Jahr sehen. Das sind in Menschenjahren etwa alle dreieinhalb Jahre. Denn durch halbjährliche Untersuchungen können wir gesundheitliche Veränderungen frühzeitig erkennen. Wir haben festgestellt, dass dies unseren Patienten hilft, länger und besser zu leben, wenn wir Erkrankungen so frühzeitig erkennen, dass man sie noch leicht und kostengünstig behandeln kann. Da dies für Charlys Gesundheit wichtig ist, können Sie dazu gleich an der Anmeldung den Kontrolltermin für in sechs Monaten vereinbaren. So kann es nicht vergessen werden. Welche Fragen haben Sie dazu?”
Fazit: Reden hilft – immer!
- Legen Sie die Preise für Ihre Leistungen sinnvoll, unternehmerisch klug und passend zu der Positionierung Ihrer Tierarztpraxis fest. Denken Sie immer daran: Wer mehr erreicht, braucht weniger zu arbeiten.
- Machen Sie sich die Außenwirkung von Preisen bewusst. Kostengünstig ist nicht immer die beste Lösung: Gute Leistungen haben wie gute Produkte ihren Preis. Deshalb: Zeigen Sie Selbstbewusstsein! Gute tiermedizinische Leistungen sind ein knappes Gut.
- Nutzen Sie jeden Moment des Kundenkontakts zum Aufbau von Bindung und Vertrauen. Stellen Sie dazu offene Fragen und sprechen Sie Menschen und Tiere immer persönlich an.
- Sprechen Sie die Themen finanzielle Vorsorge oder Kosten für Leistungen aktiv, aber ganz entspannt an. Bleiben Sie dabei transparent. Denn am Ende entscheiden Ihre Kunden, ob sie Vertrauen haben und es zur langfristigen Beziehung und zur Umsetzung von Sonderleistungen kommt. Treten Sie immer aktiv in den Dialog. Benutzen Sie dazu Formulierungen, die Ihnen liegen und mit denen Sie sich wohlfühlen. Nutzen Sie dazu die aufgeführten Anregungen. Empfehlen Sie immer den Abschluss von Versicherungen, um böse Überraschungen zu vermeiden. Das ist im Interesse von Mensch und Tier.
- Im Rahmen der neuen GOT 2022 werden die Preise für Tiermedizin definitiv spürbar steigen. Bereiten Sie Ihr Praxisteam unbedingt auf mehr Gespräche zum Thema Kosten für notwenige Leistungen vor! Kontaktieren Sie uns einfach telefonisch oder per Mail. Wir begleiten Sie und Ihr Praxisteam bei der Einführung der neuen GOT, – z.B. mit einem Kommunikationsworkshop zum Thema Preiskommunikation oder fertig vorbereiteten Standardbehandlungen, nach neuer GOT.
Viel Spaß bei der Umsetzung und eine tierisch gute Zeit
Raphael M. Witte und das RUHMserviceTeam
[1] Brick DJ, Scherr KA, Ubel PA.: The Impact of Cost Conversations on the Patient-Physician Relationship. Health Communication, 2019 Jan; 34(1):65-73